Urlaubsrechtliche Überlegungen mit Blick auf Corona

Die Corona-Pandemie wirft auch im Urlaubsrecht eine Reihe von Fragen auf. Einige der häufig auftretenden sollen hier behandelt werden.

Kann der Arbeitgeber wegen erhöhtem Arbeitsaufkommen bereits bewilligten Urlaub widerrufen?

In aller Regel sind Arbeitgeber nicht berechtigt, den von ihnen bewilligten Erholungsurlaub einseitig zu widerrufen. Nach § 7 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) hat der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Gesetzgeber hat hier den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB näher ausgestaltet, wonach Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Vertragspartner auf die gegenseitige Interessenlage Rücksicht zu nehmen haben. Verbindlich wird die Urlaubsfestlegung erst mit der Bewilligung des Arbeitgebers.

Seine einmal ausgesprochene Bewilligung als bürgerlich-rechtliche Willenserklärung kann der Arbeitgeber jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen (sozusagen Notfällen) widerrufen. Dabei obliegt dem Arbeitgeber die Beweislast, dass dringende betriebliche Belange den Widerruf erfordern. Das kann der Fall sein, wenn sich das Arbeitsaufkommen unvorhersehbar erhöht hat, die Arbeitsspitzen aus zwingenden betrieblichen Gründen wahrgenommen werden müssen und andere organisatorische Maßnahmen nicht zu Gebote stehen, als den bereits bewilligten Urlaub zu widerrufen. In diesem Fall hätte der Arbeitgeber dem Beschäftigten hieraus entstehende Kosten wie Stornierungsgebühren etc. zu ersetzen.

Allerdings können sich beide Seiten einvernehmlich auf einen neuen Urlaubstermin einigen. Ein Anspruch auf solche Einigung besteht jedoch nicht. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist ein arbeitsvertraglicher Passus, wonach sich die Mitarbeiter verpflichten, in jedem Fall auf Verlangen des Arbeitgebers bereits genehmigten Urlaub zu verschieben, unwirksam (BAG, Urt. v. 09. 06. 2000 - 9 AZR 455 99).

Darf der Arbeitgeber die Beschäftigten auch gegen ihren Willen verpflichten, Corona bedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt Urlaub zu nehmen?

Das Bundesurlaubsgesetz schließt zwar nicht von vornherein aus, dass der Arbeitgeber den Zeitpunkt des Urlaubs einseitig festlegen kann, verpflichtet ihn jedoch nach § 7 BurlG – wie oben ausgeführt – die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen soweit dem nicht dringende betriebliche Belange entgegenstehen. Die Urlaubswünsche der Beschäftigten zu „berücksichtigen“, ist kein bloßer Appell des Gesetzgebers. Das dem Arbeitsrecht innewohnende Willkürverbot verlangt unter “Berücksichtigung” viel mehr eine faire Interessenabwägung zwischen den betrieblichen Belangen und denen der Arbeitnehmer. Ein aus Sicht des Arbeitgebers günstiger Urlaubszeitpunkt reicht folglich nicht aus. Überdies sind bei öffentlichen Arbeitgebern die Beteiligungsrechte der Personalvertretungen zu beachten.

Ordnet der Arbeitgeber Urlaub einseitig an, indem er betrieblichen Belangen gegenüber den Urlaubswünschen der Arbeitnehmer einen höheren Rang einräumt, hat er die Gründe sowohl den betroffenen Beschäftigten als auch der Personalvertretung darzulegen. Die Entscheidung wäre arbeitsgerichtlich nachprüfbar. Nur in besonderen Einzelfällen wäre es vorstellbar, dass Auswirkungen der Corona-Pandemie zwingende betriebliche Belange begründen, den Urlaub „jetzt“ einseitig vom Arbeitgeber anzuordnen. Dabei stellt sich die Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber Urlaub gegen den Willen der Beschäftigten anordnen kann. Maßstab könnte eine Entscheidung des BAG aus dem Jahre 1981 (BAG, Urt. v. 28. 07. 1981 – 1 ABR 79/79) sein. Das Gericht begrenzte damals den Umfang von Betriebsferien auf maximal 3/5 des jährlichen Urlaubsanspruches. Das dürfte auch für angeordneten „Zwangsurlaub“ aus Anlass von COVID-19 gelten.

Können Arbeitnehmer von ihrem geplanten Urlaub zurücktreten, weil Reisen oder sonstige Urlaubsaktivitäten Coronabedingt zurzeit nicht verwirklicht werden können?

Der beantragte und vom Arbeitgeber bewilligte Urlaub bindet rechtlich auch die Arbeitnehmer. Hiervon können sie nicht einseitig zurücktreten. Das Risiko für nicht realisierbare Urlaubsaktivitäten tragen die Beschäftigten. Dennoch sollten einvernehmliche Lösungen angestrebt werden, insbesondere bei Härtefällen, die sich aus dem COVID-19-Geschehen ergeben.

Über den Autor

Gerd Tiedemann, eigenständiges Mitglied im dozenten.team, Regierungsdirektor a.D.(Diplom-Verwaltungswirt); ehem. Ortsamtsleiter (sog. „Stadteilbürgermeister“) Hamburg–Finkenwerder sowie Dezernent Bürgerservice im Bezirksamt Hamburg – Mitte, Dozent bei der dbb akademie und bei Walhalla Seminare mit den Themen Arbeits- und Tarifrecht, Personalvertretungsrecht¸ Kommunikationstechniken, Vermittlung mediativer Kompetenzen, Konfliktmanagement, Moderation von Klausurtagungen für Personalräte und Personalverantwortliche